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Keine Arbeit - nur Wirtschaft

Solidarität neu: Die Armen unterstützen die Reichen. Alles andere ist Kommunismus. Demokratie und Verfassung in Europa.

Wien (2. August 2004) - Gott spielt in der geplanten EU-Verfassung keine Rolle, das Eigentum hingegen schon. Unternehmerische Freiheit wird als neues Grundrecht eingeführt. Beim EU-Gipfel von Lissabon vor vier Jahren wurde beschlossen, die Union in diesem Jahrzehnt zur wettbewerbsfähigsten Wirtschaft der Welt auszubauen. Internetindustrie, EU-Finanzmärkte und stärkere Börsennotierung europäischer Unternehmen stehen dabei im Mittelpunkt. Gleichzeitig soll der Euro stabil bleiben und die Budgets saniert werden.

Modernisierung heißt das Zauberwort. Dahinter verbirgt sich der Abbau aller Sozialsysteme. Die öffentliche Altersvorsorge soll durch europaweit agierende Pensionsfonds entlastet werden; im Gesundheitssystem soll der freie Wettbewerb zu Kostenreduktion bei gleichzeitiger Erhöhung der Qualität führen. [Buchtipp: Wie erzähle ich einen guten Witz, Perlen Reihe]

Unsere Herren geben sich aber auch sozial: Modernisierungsverlierer sollen so schnell wie möglich wieder in den Arbeitsmarkt integriert und dem Dienstleistungssektor zugeführt werden – vor allem im Niedriglohnbereich. Lissabon 2000 bildet die Grundlage für die EU-Verfassung. Aufbauend auf der Freiheit des Kapitals und des Warenverkehrs wird der flexible Lohnsklave gefordert oder, noch besser, der sich selbst ausbeutende Neue Selbständige; und damit der Konsum nicht zusammenbricht, sollen wir Plebejer zwar weiter gleich viel verdienen, dafür aber mehr arbeiten.

In schlechter Verfassung

Wenn im Entwurf zur EU-Verfassung explizit von Solidarität die Rede ist, dann nur im Zusammenhang mit Terrorismusbekämpfung. Bürgerliche und justizielle Rechte sind zwar Bestandteil des Katalogs, verkommen jedoch ebenso wie die beschworene Würde des Menschen zum zynischen Konjunktiv. Denn über allem steht die Wirtschafts- und Währungspolitik, die nur mehr einem Grundsatz verpflichtet ist: der offenen [statt der sozialen] Marktwirtschaft mit freiem Wettbewerb. Das Verbot, öffentliche Einrichtungen besonders zu fördern, gehört dazu wie das Amen im Gebet.

Recht auf soziale Sicherheit? Weg damit!

Öffentliche Krankenkassen nehmen jetzt jeden Versicherten samt den nicht erwerbstätigen Angehörigen [z. B. Kinder]. Der Beitrag richtet sich nach dem Einkommen. Private Versicherer berechnen jedoch eine »Kopfprämie«, Mitversicherungen gibt es nicht. Der Beitrag richtet sich nach dem Risiko. Frauen zahlen mehr, weil sie älter werden und Kinder bekommen. Auch Ältere werden verstärkt zur Kasse gebeten, und schwere Erkrankungen sind ein Kündigungsgrund. Willkommen im freien Markt.

Damit scheint die endgültige Spaltung der Gesellschaft unvermeidlich. Kaufkräftige können sich Gesundheit [und Bildung] leisten, alle anderen bleiben draußen vor der Tür. Mit Brief und Siegel. Denn in Artikel III. 103 der Verfassung wird festgeschrieben, daß die Union und deren Mitgliedsstaaten bei der Verfolgung der Sozialpolitik »der Notwendigkeit, die Wettbewerbsfähigkeit der Union zu erhalten, Rechnung tragen«. Damit kann man dann vieles begründen: Lohndumping genauso wie Befreiung des Kapitals von Beiträgen zum sozialen Netz.

Sie wollen sich gesund ernähren? Nahrungsmittel aus biologischem Anbau, Fleisch möglichst direkt beim Bauern Ihrer Wahl kaufen? Das steht nicht auf der EU-Tagesordnung. Da geht es allein um Produktivität, und zwar »durch Förderung des technischen Fortschritts, Rationalisierung der landwirtschaftlichen Erzeugung und den bestmöglichen Einsatz der Produktionsfaktoren« [III. 123]. Eine unverblümte Aufforderung zum Einsatz der Gentechnik.

Atomstaat EU

Aber damit noch nicht genug. Über ein Zusatzprotokoll zum Euratom-Vertrag soll nun auch die Atomenergie als privilegierte Energiequelle Verfassungsgut werden. So werden die Investitionen der Atomlobby gesichert und der erneuerbaren Energie weitere Hindernisse in den Weg gelegt.

Womit wir bei der Sicherheitspolitik angelangt sind. Atomkraftwerke dienen bekanntlich nur nicht nur der Erzeugung von »billigem und sauberem Strom«. Willkommene Nebenprodukte sind angereichertes Uran und Plutonium zur freien Verwendung bei Atomwaffen. Detail am Rande: Die Bezieher von Atomstrom finanzieren sich ihre Bedrohung auch noch selbst.

Die EU ist ein Friedensprojekt, wie man immer wieder hört; und tatsächlich hat sie »Frieden und Sicherheit« auch in ihrer Verfassung verankert. Dagegen läßt sich nichts einwenden – zumindest auf den ersten Blick. Nur besonders kritische Geister werden in der Förderung von »Maßnahmen zur Stärkung der industriellen und technologischen Grundlage des Verteidigungssektors« die Umwandlung der EU in eine Militärmacht vermuten. Vielleicht haben die Verantwortlichen tatsächlich eine neue Weltordnung im Sinn, wo Freiheit und Selbstbestimmung im Mittelpunkt stehen. Möglicherweise befinden wir uns aber bereits mitten in der Vorbereitung von Präventivkriegen zur »Aufrechterhaltung des freien Welthandels« und zur »Bekämpfung des Terrorismus«.

Europa auf dem Weg zum Welthilfspolizist?

»Mir wollen auch schiaßen!« verlangten Peter Lössl und Bernhard Rabitsch einst im Stechschritt-Mambo [Drahdiwaberl]. Genügt es nicht, wenn die Habenichtse dieser Welt Frieden und Wohlstand der Besitzenden sichern? Ob die beherrschten Befreiten wohl über die neue Verfassung abstimmen werden dürfen?

PS: Die EU ist auf einem neuen Tiefpunkt ihrer Popularität angelangt. Warum? Mehr gleich nach der Werbung. Bleiben Sie dran!

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