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Wien (22. Juni 2014) – Der derzeit geführte Diskurs über Musik aus Österreich bringt viele Argumente pro und contra zutage – oft leider auch traurige Vorurteile. Viele entrüsten sich mit einem entsetzen Aufschrei über die gar so infame Idee einer Quote und behaupten, es gäbe hierzulande sowieso nur Mist und keine gute Musik – außerdem sei Quote ja immer ein Zeichen von Schwäche und diskriminiere andere.
Elende, beschämende Misere
In Wahrheit ist diese Quoten-Debatte jedoch nur eine längst fällige Reaktion auf eine elende, beschämende Misere, die hier seit über zwanzig Jahren existiert. Die Diskriminierung findet in Wirklichkeit längst statt, nur aber in die falsche Richtung.
„Österreich hat 1918 das Meer verloren . . . und damit auch sein Ansehen und seine Größe“ schrieb Anton Kuh, und zeichnete die österreichische Seele – wie später Erwin Ringel – als eine von kleingeistigen, verstörten und in Selbstmitleid versunkenen Geist bestimmte. Ja, wir waren einmal ein stolzer großer Vielvölker-Staat, eine kulturelle Hochburg, dann haben leider alle auf uns „drein gedroschen“, und jetzt hat das kleine Rest-Österreich in der Welt absolut nichts mehr zu melden.
Der Satz „Na, was kann das schon sein, wenn es von hier kommt“ ist in den österreichischen Köpfen so fest verankert, daß meistens alles daran gnadenlos scheitert. Auch in den Köpfen der Radio-Macher herrscht dieser Kleingeist – drum kann nicht sein, was nicht sein darf: Nämlich, daß aus diesem Land etwas Großes entsteht, vor allem in der Pop-Musik. Weil die wird sicher ganz woanders gemacht, nur nicht hier. Das kann ja gar nicht gehen, weil „wir spielen die Hits“ – und nicht selbstgestrickte Zweitware aus Österreich . . . Ausnahmen, die von Konsumenten wirklich wahrgenommen werden, finden höchstens nur alle zehn, zwanzig Jahre statt.
Hier die Fakten:
Anfang der 90er-Jahre wurde im öffentlich-rechtlichen Musiksender Ö3 der Austropop – also Popmusik aus Österreich – für tot erklärt. Vor der Einführung der Privat-Sender wurde Ö3 schnell noch zum stromlinienförmigen Format-Radio umgewandelt, um im freien Markt bestehen zu können. Ein geschäftlich zunächst durchaus nachvollziehbarer Schachzug – Ö3 hält nach wie vor die Spitzenposition in den Radio-Reichweiten. Für die professionelle Umsetzung dieses Planes wandte man sich an eine deutsche Berater- und Consultingfirma mit Sitz in Nürnberg. Seither (also seit ca. zwei Jahrzehnten) wird ausschließlich von dort aus die Playlist von Ö3 bestimmt. Das damals installierte so genannte AC-Format [„Adult Contemporary“ – ein Wohlfühl-Format, das niemanden weh tun darf] wird laufend „auf den internationalen Musikmarkt abgestimmt“ und mittels Hörer-Umfragen untermauert, wobei ich jetzt nicht genau sagen kann, von wem diese Telefon-Umfragen gemacht werden, bzw. ob sie etwa nur in Deutschland oder doch in Österreich stattfinden. Daß aber die handelnden Personen in Nürnberg natürlich sicher keinen blassen Schimmer von einer österreichischen Musik-Szene haben, ist klar. Aber solange die Werbefirmen zufrieden sind, ihre Werbespots schalten und viel Geld in die Kassen des Senders spülen, ist die (Geschäfts-)Welt von Ö3 ja in bester Ordnung.
Enormer wirtschaftlicher Schaden
Und es ist offensichtlich auch völlig egal, daß die Tantiemen für die im Radio gespielten Titel dadurch allesamt ins Ausland - somit weg von der heimischen Kreativ-Landschaft - fließen. Der interessierte Bürger möge sich die AKM-Zahlen einmal ruhig genauer anschauen: Wäre der feststellbare Tantiemen-Einbruch umzulegen auf z.B. Lohnverhandlungen mit der Metaller-Gewerkschaft oder den Lehrern, dann würde kein Stein mehr auf dem anderen bleiben und Österreich zum Streikland Nummer Eins in Europa werden. So ist Österreich nur auf dem letzten Platz, was den Anteil nationaler Musik im Radio betrifft.
Wir sprechen vom Mainstream-Massen-Sender Ö3 wie auch von Radio Wien – immer noch Sender des ORF, der ja bekanntlich einen öffentlich-rechtlichen Auftrag hat und nicht zuletzt von Gebühren, die wir alle zahlen, gespeist wird. Der Großteil der Hörer verbindet mit dem Begriff Austropop jedoch lediglich die Protagonisten einer längst vergangenen Epoche: Falco, Ambros, Fendrich, Danzer, etc.
Redaktionelle Freiheit - ein Traum
Die stammen aber alle eben aus jener Zeit, wo Radio-Redakteure noch selbst frei entscheiden konnten, was sie spielen – da gab es nämlich noch tatsächlich mündige, bestinformierte Musik-Experten, die sich auch für die hier stattfindende Musik-Szene interessierten.
Wenn man also heute hört, daß nach den oben genannten arrivierten Alt-Stars der österreichischen Musik-Szene niemand mehr in diesem Lande zu Erfolg und Ruhm gekommen ist und es nur mehr belanglosen Mist gibt, so hängt das sehr wohl mit dem konsequent durchgezogenen Radio-Boykott von österreichischer Musik zusammen.
Die heimischen Künstler, Musiker, Produzenten und Studios kochen aber haargenau mit demselben Wasser, wie alle anderen Kreativen auf der ganzen Welt. Wir können das! Gerade hat Österreich zum Beispiel den Song Contest gewonnen. Natürlich vor allem durch die Person und Performance von Conchita Wurst, der Song stammt von deutschen Komponisten; er wurde aber sehr wohl von einem dreiköpfigen Team hier in Wien arrangiert, aufgenommen und fertig produziert: von David Bronner, Sebastian Arman und Dorothee Badent, wozu ich an dieser Stelle gern gratuliere. Das beweist, daß international beachtete Produktionen hierzulande durchaus gemacht werden können. Warum auch nicht?
Nebenbei bemerkt: Aus gut informierten Kreisen hört man, daß der Ö3-Chef nach erstem Anhören von Rise Like A Phoenix gesagt haben soll, daß „dieser Song auf Ö3 sicher nicht gespielt werden wird“ – jetzt, nach dem historischen Sieg, mußte er offenbar seine Meinung dazu drastisch ändern.
Für mich persönlich gibt es ja zwei, voneinander offenbar völlig unabhängige Anstalten des ORF: Das ORF-Fernsehen und das ORF-Radio. In den letzten zwölf Jahren gab es für junge Talente des Mainstream-Pops aus Österreich nur eine einzige Möglichkeit, in Österreich bekannt zu werden, und das waren TV-Casting-Shows wie Starmania, Helden Von Morgen und Die Große Chance.
Ich habe es miterlebt und dabei mitgeholfen, als eine Christina Stürmer, ein Julian LePlay, ein Lukas Plöchl, eine Christine Hödl, ein Thomas David, eine Conchita und wie sie alle heißen, ihre Chance bekamen. Man mag von ihnen halten, was man will, aber weder Persönlichkeit noch Mut kann man ihnen absprechen. Es ist nämlich keine „Normal-Situation“, daß ein Künstler sich in einem beinharten TV-Wettbewerb einer Jury und einem anonymen, nicht faßbaren TV-Publikum stellen muß. Falco wäre ganz sicher nie als Kandidat in eine Casting-Show gegangen, auch die meisten anderen ernst zu nehmenden Künstler hätten diesen Weg nicht gewählt.
Natürlich ging es hier für den ORF zunächst immer um eine gute TV-Sendung und eine gute Reichweite und Quote [Nanu? Hier ist also das „Qu-Wort“ erlaubt und sogar legitim?], dennoch kamen mehrheitlich alle wirklich bekannteren Namen stets aus diesem Talente-Pool.
Darum weiß ich, daß man auch stolz auf den ORF sein kann, und das bin ich in dieser Beziehung auch. Verwunderlich ist aber, daß dann meistens „wie das Amen im Gebet“ folgendes passierte: Die ORF-Leute vom Fernsehen waren plötzlich ratlos und sehr erstaunt, daß ihre TV-Protagonisten von Kollegen im ORF-Radio nicht gespielt wurden. Sie konnten das oft nur tatenlos zur Kenntnis nehmen. Und dies geschah unter dem gleichen Dach, innerhalb derselben Firma – dem ORF.
Künstlerischer Aderlaß
Es ist die Arroganz des Elfenbeinturms auf der Heiligenstädter-Lände, mit der man hier leider ständig kämpfen muß. Es ist der Kleingeist in den Köpfen. Es ist das Format-Radio. Es ist das Geld. Und es ist die daraus resultierende, nicht vorhandene Wertschätzung gegenüber den hiesigen Musik-Schaffenden.
Durch diese Schieflage ist auch die wirtschaftliche Wertschöpfung – der mögliche finanzielle Rückfluß in die Branche durch Tantiemen, die nicht ins Ausland gehen – gleich Null. Bei vielen Produkten aus Österreich (Waren aus der Industrie, Agrar-Wirtschaft) gibt es Unterstützungen, Schutz-Zölle, ohne daß sich jemand darüber beschwert – das ist ganz normal. Aber in diesem Fall regt man sich auf und will nicht wahrnehmen, daß im „Musikland Österreich“ auch Leute von Musik leben wollen? Dabei würde eine Anhebung des nationalen Musik-Anteils nichts kosten. Keine staatliche Förderung wie in der Hochkultur – nein, nur Vertrauen in die hier vorhandene Kreativität!
Auch im Alternative- und Indie-Sektor hat Österreich übrigens durchaus eine wahrnehmbare Größe. Viele einheimische Acts werden auf FM4 gespielt [im ersten Quartal 2014: 18 Prozent . . . Ö3: 4,7%, seit dem „Lichtenegger-Gate“ 8%, im Mai, also nach Conchita, „sogar“ 13 Prozent]. Die nationalen FM4-Acts genießen im Ausland oft mehr Anerkennung als hierzulande. Das Problem dabei ist, daß sie, berechtigterweise, allesamt den Format-Sender Ö3 fürchten wie der Teufel das Weihwasser – eben, weil sie es nicht anders kennen. FM4 wird oft als Feigenblatt dafür hergenommen, wenn es um österreichische Pop-Musik im weitesten Sinne geht, frei nach dem Motto: „Wir spielen euch eh auf FM4!“
Jedoch: Die meisten auf FM4 gespielten heimischen Acts gehen – wenn sie nicht auswandern - nebenbei einem Brotberuf nach, weil sie sich sonst nicht über Wasser halten können.
Es gibt aber immer noch jene „Unverbesserlichen“, die davon träumen, in diesem Land von ihrer Arbeit leben zu können – die nicht nur nach dem Nine-to-Five-Job im Hobby-Keller kompromißlosen Underground machen wollen, der zwar durchaus erfrischend, sexy und credibel ist, bei uns aber ein Minderheiten-Programm bleibt. Diese „Unverbesserlichen“ – überwiegend musikalisch bestens ausgebildete Profis - bleiben meistens auf der Strecke und landen dann auf dem mittlerweile immer größer werdenden Misthaufen, irgendwo zwischen FM4 und Ö3: Abgelehnt von FM4 mit der Begründung „zu wenig alternativ“ – abgelehnt von Ö3 mit der Begründung „zu wenig Mainstream, nicht Ö3-kompatibel“. Die meisten Musiker und Bands, die ich kenne, erleiden exakt dieses Schicksal.
Was sagt man heute hierzulande jungen, hoffnungsfrohen, ambitionierten Musikern? Meistens rate ich ihnen, ins Ausland zu flüchten, wo sie wenigstens eine halbwegs realistische Möglichkeit haben, ihren Traum zu verwirklichen. Mein 22-jähriger Sohn, zum Beispiel, studiert Musik in Boston; und obwohl ich ihn in Zukunft natürlich liebend gern in räumlicher Nähe hier in Österreich wissen möchte, weiß ich, daß es für ihn besser sein wird, nicht mehr zurückzukommen. Denn solange sich hier die derzeitige Situation nicht verbessert, wird es für ihn sehr schwer – wenn nicht sogar unmöglich! -, beruflich Fuß zu fassen.
Die freiwillige Selbstverpflichtung funktioniert nicht
Es ist Zeit, die Dinge beim Namen zu nennen: Die freiwillige Selbstverpflichtung funktioniert nicht! Nur wenn es gesetzliche Vorgaben gibt, wird sich etwas ändern. Dann würde für alle dasselbe gelten, neben dem öffentlich-rechtlichen ORF übrigens auch für alle Privat-Radios, die sich, nebenbei bemerkt, auch einen Dreck um österreichische Musik scheren.
Thomas Rabitsch ist Musiker, Komponist und Musikproduzent
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