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Totenkopf mit Echo

Die deutsche Tonträgerbranche feiert sich selbst zwischen Identitätssuche und -verweigerung - Totenkopf am Halsband des Mittelmaßes.

Berlin/Wien (15. März 2006) »Diese Auszeichnung spiegelt die Realität einer Entertainment-Industrie, deren Strategien der totalen Ablenkung ohne tieferen Sinn längst alle Bereiche der Gesellschaft ergriffen hat. Mehr als eine Nebenrolle spielt gesellschaftspolitisches Engagement dabei auch in einem Filmjahr nicht, indem es sonst keine großen Themen gab. So verhallte jede noch so deutlich formulierte Kritik an aktuellen Mißständen im Gekreische von PR-Kampagnen und im Lärm von schicken Klingeltönen. Nichts bleibt, was auch in der Nüchternheit nach dem Rauschen der Galanacht für die Massen der Angepaßten erhellend sein könnte.«

So kommentierte Bernhard Flieher in den Salzburger Nachrichten vom 7. März die Verleihungen der Oscars. Vieles läßt sich passgenau auf den ECHO umlegen, der am 12. März bereits zum fünfzehnten Mal in Berlin über die Bühne ging. Hört man den prämierten Künstlern zu, merkt man, wie perfekt das System etwaige Widerständigkeit aus den Gehirnen der Ausgelobten geschmirgelt hat. Christina Stürmer dankt artig, wie schon beim Amadeus Award mehrfach bestens geprobt. Daß sie aus der A&R-Wüste Österreich kommt und von den deutschen Kollegen beinahe perfekt vom Erfolg abgehalten worden wäre – das sind offensichtlich nur mehr Randnotizen einer Karriere, die es mitzuteilen nicht lohnt.

Die Nacht der langen Messer

Die Souveränität des immer wieder gerne ausgezeichneten Xavier Naidoo schrammt schon übel an einer gefährlichen Selbstgefälligkeit dahin. Der sonst so engagierte Gesellschaftsbeobachter gönnte dem ECHO keine kritische Eintragung ins Mitteilungsheft. Da teilte er lieber an die zahllosen Helfer aus – in Hochgeschwindigkeit las er Dankespersönlichkeiten vom Zettel, sodaß diese sich maximal auf den Arm genommen vorkommen konnten. Das Publikum kam sowieso nicht mit – rasende Performance ins Out. Der Tourneehinweis klang ein wenig als Entschuldigung für die hingehudelte Lässigkeit.

»Wollen uns bei den zuständigen Organen bedanken!«

Rammstein langweilen mittlerweile mit ihren Null-Wortspenden: »Wollen uns bei den zuständigen Organen bedanken!« – und aus. Auch die Helden schafften ihr übliches Diskursniveau nicht und waren froh, mit dem zweiten Album gut über die Runden gekommen zu sein. Fettes Brot klopften sich immerhin gleich selbst auf die Schulter: »Wir danken der Academy für das Erkennen von Talent!« Und dankbar ging es weiter – live [Semino Rossi, Kastelruther Spatzen etc.] und in den Zuspielungen [James Blunt, Michael Bublé, Robbie Williams] verneigte man sich artig.

Mitleid, Kinderarbeit und Schlimmeres


Perfekt inszenierte Jungrabauken: Tokio Hotel

Über dem Erwarteten präsentierten sich sprachlich Tokio Hotel, die alle vier couragiert ans Mikro traten, zwar auch nur Danke sagten, aber das tapfer, in Anbetracht des Alters. Diese etwas versöhnliche Zurechtrückung brauchte es auch, denn ihr Auftritt davor war ein Musterbeispiel an schon beinahe körperliche Schmerzen bereitender Unglaubwürdigkeit: Musikalische Schmink-Kinderjause mit Totenkopfketterl und -gürtel zum Liebesthema, das man der fünf oder mehr Jahre älteren Schwester abgeschaut hatte.

Mitleid, Kinderarbeit und Schlimmeres kommt einem in den Sinn. Gefeit davor offensichtlich nur Menschen mit einer Eins zu Beginn der eigenen zweistelligen Alterszahl. Einer wurde eingeflogen, von Campino niveauvoll vorgestellt und mit einem extra geschaffenen Spezialpreis behängt: Bob Geldof, er war für das Politische und Gesellschaftskritische zuständig – und er war beeindruckend. Mahnung an die Deutschen hinsichtlich der Deine Stimme gegen Armut-Kampagne: »Macht weiter, bringt die Sache voran!«

Genau das möchte man auch dem ECHO in einem durchaus positiven, konstruktiven und fordernden Ton zurufen! Bei einem Musikpreis dieser Größe und Bedeutung müßte es darum gehen, eine Identität des Preises und der Preisverleihung an sich zu schaffen. Ziel sollte sein, ein Forum zu etablieren, in dem in einem abgesteckten und auch medial gut wahrgenommenen Rahmen Kreativität mit all ihrer Unberechenbarkeit und Widerständigkeit, d.h. eigen(ständig)en Weltdeutung, ermöglicht wird.

Warum nur, warum?

Warum müssen die live auftretenden Künstler stets ihre mehr oder weniger bekannten aktuellen Singles abspulen? Warum werden Künstler nicht dazu eingeladen, einen eigenen Song für den ECHO zu schreiben, Branchen- oder Gesellschaftsaktuelles zu reflektieren? Wie hören sich denn klingende Statements der führenden Musikschaffenden zu Downloadproblematik, Medienmisere und A&R-Krise an? Wieso ist geistiges Eigentum kein Thema - als künstlerisches Statement? Das Publikum glaubt den Künstlern, und nicht der Industrie: laßt sie also sprechen, singen und sensibilisieren.

Wenn sich Qualität und Überraschung paarten, wären Musikpreisverleihungen weniger ausrechenbar und damit interessanter für das Publikum, und selbstverständlich auch für die Musikschaffenden. Eine solche wünschenswerte Identität kann der ECHO bisher nicht aufweisen – aus mehreren Gründen: Die Moderatoren sind passables Mittelmaß, nicht mehr. Oliver Geißen ist sympathisch, grinst mit seiner Partnerin um die Wette und beginnt flapsig mit der Hand im Hosensack. Leider ist er den ganzen langen Abend bemüht, sein Everybody’s-Darling-Image nicht anzupatzen. Damit entstehtweder etwas wirklich Lustiges, noch Tiefsinniges, Originelles oder sonst irgendwie Wesentliches. Michelle Hunziger gibt den momentan überall – nicht nur beim ECHO – anzutreffenden Prototyp der Moderatorin, die so unglaublich aufgeregt und gut drauf ist, daß es einfach nervt, und man auf die rausgebrüllten Künstlernamen nur zurückschreien will: Gnade!

Vom Ausland links liegen gelassen

Die internationalen Gewinner geben dem ECHO nicht die Ehre ihrer Anwesenheit, was bleibt, sind unbefriedigende Infokurzmeldungen zu den jeweiligen Kategorien. Daß das nicht so leicht zu ändern ist, leuchtet ein. Daß man sich da schnellstens etwas überlegen muß, ist genauso evident.

Kontinuität bei Signationsound und Produktionsfirma, in Bühnenbau und Ausstattung schaffen noch keine Identität des ECHO, dazu braucht es mehr. Daran muß gearbeitet werden. Abseits von Marketing und Verkaufszahlen werden keine Werte etabliert. Damit amputiert die Branche auch ihre Künstler, anstatt sie zu fördern.


Ich bin Deutschland: Christine Stürmer

Sonstige Ereignisse rund um den ECHO geben ebenfalls zu denken bzw. erzeugen Handlungsbedarf. Die Ausladung der Band Oomph! wegen eines als religionskritisch eingestuften Songs, der dabei über Religionskritik weit hinausweist, ist klar eine rote Karte von RTL für eine zukünftige Identitätsbildung des ECHO. Im Jazzbereich eine nationale Kategorie einzuführen, scheint dringend nötig.

Doch das wird nicht genügen bzw. führt zu Fragestellungen, die schon längst beantwortet gehören: Wird der ECHO eines Tages einen größeren Ausschnitt musikalischer Vielfalt darstellen können? Der Branche und dem Publikum muß man das zumuten. Dem ECHO, und nicht nur ihm, ins Stammbuch: In der heutigen Zeit geht es nicht darum, Musik und ihre Protagonisten so zu präsentieren, daß ihr Noch-Da-Sein, ihr Überleben evident und gefeiert werden. Es tut not, daß wir der Musik jene Inhalte, Deutungskraft und Wirkungen zuschreiben, die Veränderungen nicht nur der Musik selber, sondern auch der Menschen und ihrer Erlebniswelten wieder mehrdimensional denkbar und spürbar machen. gw

Fotos: Echo

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