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Midem goes Mobile

Die weltweit bedeutendste Messe des Musikgeschäfts fand im heuer winterlich kalten Südfrankreich statt. Ein Bericht von Günther Wildner.

Cannes/Wien (15. Februar 2005) - Gemäß einer langen Tradition ist der Musikbranche eine Schizophrenie in den Bereichen Technologiebehandlung und Contententwicklung inhärent. Während einerseits die Angst vor dem die Wertschöpfungskette erschütternden Technikfortschritt [mp3 & P2P] mit dem Traum des sich plötzlich materialisierenden, technologischen Deus Ex Machina-Durchbruchs [legale digitale Distribution & individualisierte mobile Musikangebote] noch immer ergebnislos konkurrenziert, schaffen es die unglücklich verschwisterten Konzepte des immer gleichen A&R- und medienhörigen Marketingverhaltens und des verzweifelten Suchens nach dem New Big Thing oder dem neuesten Trend schwer zu einer langfristigen Balance bzw. zukunftsweisenden Geschäftspraxis.

Das Handy - die eierlegende Wollmilchsau

Aktuell träumt die Musikbranche daher den Traum vom wunderbaren, eierlegenden Wollmilchsau-Handy als dem maximal individualisierten Entertainment-Inhalte und besonders Musik saugenden Glücksgefühlsmotor, der sein Futter legal und bezahlterweise erwirbt. In diesem Sinne wurde die vom 23. bis 27. Jänner stattfindende Midem 2005 gleich in eine intensiv konzentrierte REM-Phase versetzt und reflektierte heftigst die Zukunft der mobilen Musiknutzung. Das paßte ins Bild einer verunsicherten Branche, die sich am Strohhalm der paradiesischen Zukunftswünsche aus den mittlerweile verschlammten Quellgebieten des traditionellen Tonträgergeschäfts herausziehen will.

Mobile Technologie ist Trumpf:
»My Phone is my favorite DJ«


Gerd Gebhart (links, ifpi Deutschland) und
Dr. Franz Medwenitsch (ifpi Österreich)

Exemplarisch und eindrücklich textilplakativ thronte die riesenhafte Alcatel-Werbebotschaft fast über der gesamten Häuserfront gegenüber dem Eingang zum Palais des Festivales »My Phone is my favorite DJ. Broaden your life.« Die Messe hatte in diesem Slogan ihr Motto und ihren gedanklichen wie öffentlichkeitswirksamen Fokus gefunden: Mobil Music. Nachdem die PopKomm im September 2004 die Musik schon bewegt hatte (Movin’ Music), wurde sie bei der Midem auf die große Reise geschickt, weniger im Internet als auf dem Handy.

Unzählige Podiumsdiskussionen - auch bei der vorausgehenden MidemNet - konzentrierten sich auf die Musikverwertung in der individualisierten Mobilnutzung. Konkrete Ergebnisse zeichnen sich jedoch nur undeutlich ab. Die Musik-, Telekom-, Handy-, Hard- und Softwarefirmen ersehnen - angestachelt von guten Ergebnissen am Klingelton- und Ringbacktonesektor - den Massenmarkt des mobilen Herunterladens aller möglichen Trackderivate. Ohne den Massenmarkt läßt sich nichts verdienen, da sind sich alle einig, doch der Ball der Investitionsverpflichtung wird zwischen Telekommunikations- und Contentanbietern noch teilweise lässig oder auch schon ungeduldig hin und hergespielt. Die Handyanbieter - Ericsson stellte sein m-use-Music Service vor - steuerten erste Soft- und Hardwareentwicklungen bei, um die beiden Rivalen, die so gerne wollen, aber sich aus mannigfaltigen Gründen (noch) nicht trauen, doch noch an den Traualtar eines langen mobilen Musiklebens zu lotsen.

Apple führte auf zahlreichen Terminals primär iTunes und iPods (iPod 20/40/60GB, iPod mini) vor, präsentierte jedoch auch stolz die seit kurzer Zeit vertriebene Musikproduktionssoftware Logic Pro 7 sowie iMac G5, PowerMac, iBook, PowerBook und weitere Software. Microsoft zeigte unter dem Signet PlaysForSure ein umfassendes Entertainmentangebot, das den MSN-Musicstore einschließt und den Windows Media Player 10 promotet.

Sony stellte seinen Downloadshop Connect sowie seinen auch MP3-fähigen Player NW-HD3 vor. Sony DADC legte neben der Spielerei der Vinyl-CD und der bereits bekannten n-CD seinen Fokus auf die Dual-Disc, die in Lizenz im salzburgischen Anif und in den USA gefertigt wird. Bei diesem Format spielt die Audio-Seite bis zu 60 Minuten Musik und die DVD-Seite bietet Platz für das gesamte Album im Surround Sound bzw. Enhanced Audio sowie Video-Content, Diskografien, Fotos, Bonus Musikdateien, Texte uvm.


Dr. Paul Hertel (AKM) und Harry Fuchs (Projekt Pop)

Downloadanbieter wie The Orchard, Loudeye/OD2, TuneTribe, KarmaDownload sowie die vom Mica entwickelte OMD werben mit unterschiedlichsten Geschäftsmodellen um potentielle Kunden, die aber in der Regel noch am Ausprobieren sind, wo sie ihre Musik am besten präsentieren und verkaufen können. Hoch im Kurs stehen zur Zeit wieder die Musik-Abodienste wie sie auch Napster (das sich die heurige MIDEM einiges kosten ließ) heuer noch in Deutschland anbieten will.

Am Sektor der auf Homepages einbaubaren legalen Downloadshop-Lösungen für Labels und Künstler wird das Angebot auch immer größer. Es finden sich neben anderen das Cable & Wireless / 24-7 Music Shop-Service, Musicdock und das von 4friendsOnly und dem Fraunhofer-Institut entwickelte PotatoSystem, das Kunden am Weiterverkauf verdienen läßt, und das Tim Renners Radiostation Motor FM zum Downloadradio machen soll. Mchex bietet u.a. für Downloadshops ein SMS Micro-Payment System an, Musicpay verschiedene Arten von Online-Musikbezahlmöglichkeiten.

Das Frauenhofer-Institut stellte weiters die Technologien MP3 Surround, LWDRM (Leight Weight Digital Rights Management), MPEG-4 BIFS (Standard für Vertrieb und Coding von Multimediacontent) sowie HE-AAC Surround (Low Bit Rate Multi-channel Audio Coding at 48 kb/s) vor. Was Rechtekontrollsysteme betrifft hält Sony DADC an key2audioXS für Audio-CDs fest und propagiert ArccOS als Copy Control System für die DVD.

Macrovision nennt sein CDS-300 die effektivste Anti-Piraterie-Lösung. Music Trace bietet neben dem Monitoring von Radio- und TV-Spots digitale Wasserzeichen- und Fingerabdrucksysteme für Musikfiles und CDs an. Sonicbids hält ein zukunftsweisendes und praktisches Online-EPK-Service (Electronic Press Kit) bereit.

Der Kongreß

Der Midem-Kongreß bot neben traditionellen Programmschienen, wie z. B. Jahrestreffen, Workshops und Diskussionen der IAEL - International Association of Entertainment Lawyers oder des IMMF - International Music Managers Forum, am Sonntag das Mobil Music Forum, am Montag den vielbeachteten International Indie Summit (Gründung eines Indie Weltverbandes auf der MIDEM), den Halbtag Music for Images am Dienstag und den Halbtag Live Music Network am Mittwoch, bei dem im Rahmen des Panels Changing Roles in Live Music 2005 neben anderen der brillante Marc Geiger von der William Morris Agency und der einzigartig kautzig-humorige Peter Schwenkow (ehemaliger Betreiber des Wiener Ronacher, Red.) das Live-Business für die Künstler hinsichtlich seiner finanziellen Bedeutung über den Tonträgermarkt stellten.


Der österreichische Gemeinschaftsstand


Jürgen Rottensteiner (Edel)

Österreich auf der MIDEM

Die österreichischen Gemeinschaftsstände im Parterre (Pop, Rock etc.) und im sonnendurchfluteten 1. Stock (Klassik, Jazz) des Palais des Festivales arbeiteten mit Hochdruck an den langsam wieder rosaroter schimmernden Zukunftsaussichten. Die meisten angereisten österreichischen Firmen resümierten positiv und sprachen von einer sehr fokussierten und sowohl kommunikativ als auch geschäftlich erfolgreichen Midem 2005. Etwaiger Messetourismus ist endgültig vorbei. Wer heuer nach Cannes kam, wollte etwas weiterbringen - was im Konzert dieser Wünsche den Zusammenklang eines durchaus gemeinschaftlichen Musikwirtschaftens ergab.

Die weltweiten phonografischen Verbände gaben neben der Parole des positiven Denkens auch die ersten spürbaren Verbesserungen am Tonträgermarkt mit 2006 an und verströmten eine positive Stimmung, damit im heurigen ersten Quartal die Ärmel nicht mehr mit zittrigen Händen aufgekrempelt werden müssen.

Günther Wildner, Musikmanager und Musikverleger, betreute im Auftrag des Österreichischen Musikrates den heimischen Gemeinschaftsstand im Bereich Klassik/Jazz. Alle Fotos stammen von Mario Rossori. Mehr davon unter Pop-Pate.

PS: Die Redaktion ersucht um Verständnis für den exzessiven Gebrauch von Anglizismen – und das ausgerechnet in Frankreich. Tempora mutantur! Nicht nur auf der ganzen Welt wird Englisch – oder was man dafür hält - gesprochen, sondern sogar auf dem Mond. pps

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