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Berlin (11. November 2004) - Hier hat einer seinen Job hingeschmissen, drei Wochen Weltreise gemacht, seine Beobachtungen mit seinen momentanen Brancheneinsichten gekreuzt und - voilà - ein Buch geschrieben. Dieses könnte von jedem passablen Musikmanager unserer Breiten mit gutem Schreibtalent stammen, denn es referiert schlichtweg all jene Einschätzungen und Pläne, die uns Musikmanagern im Moment so durch den Kopf gehen. Trotzdem ist das Buch mehr, und das liegt an zwei Dingen: Erstens und hauptsächlich an der Person des Autors Tim Renner, der nun einmal nicht irgendein verwechselbarer Manager ist, sondern neben seinen Talenten der Beobachtung, Kombinationsgabe und Eloquenz in mittlerem Alter eine Karriere vorzuweisen hat, zu der ein anderer drei Leben braucht und die aufgrund ihres Verlaufs und Inhalts Respekt abnötigt. Somit hat das Buch bereits vor Erscheinen große Neugierde geweckt - Lebensmitteabschnittswerl des feuilletonkompatiblen deutschen Musikindustrie-Stars.
Die zweite Begründung für die besondere Auffälligkeit und Qualität des Buches liegt in den Details. Zwar wissen Musikmanager zur Zeit durchaus gut Bescheid, wohin die Entwicklungen der Musikindustrie mittelfristig tendieren, doch die zukünftigen Entwicklungsstränge der Funktionsbereiche und Musikgenres sowie deren Zusammenspiel bedürfen gerade in einer Zeit der Rezession immer und täglich neuer frischer Entwürfe, Ideen und Verschriftlichungen. Genau das versucht Tim Renner, und es gelingt ihm unter anderem deshalb, weil er das Bezugssystem der Historie, d.h. die Geschichte der Musikindustrie stets als Begründungshintergrund seiner diese Vergangenheit fortschreibenden oder brechenden Thesen verwendet.
Phasenweise glaubt man sich im unlängst von Peter Tschmuck veröffentlichten Buch Kreativität und Innovation in der Musikindustrie zu befinden - ein Beweis dafür, daß die Reflexion der heutigen Umwälzungen in der Musikverwertung nur mit dem gesicherten Wissen über die Vergangenheit seriös betrieben werden kann.
Aufdeckung der Musikindustriewahnsinnigkeiten
Die bisherige Rezeption von Tim Renners neuem Buch erschöpft sich zumeist leider in mehr oder weniger ausführlich gestalteten Nacherzählungen des Inhalts (Wolf-Dieter Roth, Ralf Niemczyk, Sebastian Fasthuber). Allein Marcus Theurer (FAZ) wagt die Kritik, dass den vollmundigen Ankündigungen im Untertitel „Über die Zukunft der Musik- und Medienindustrie“ nur 40 von 300 Seiten gewidmet werden, was eine konzeptuelle Schwäche des Buches offenbare. Sonst findet man noch einige kurze Kommentare bzw. Rezensionen im Web, die immer wieder den Mut Renners zur Aufdeckung der Musikindustriewahnsinnigkeiten unterstreichen.
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Insgesamt entwickelt sich das Buch aber auf seine eigene Weise logisch und organisch, bleibt neben einer leichten Lesbarkeit spannend, gleitet nicht ins reine Geschichten-Erzählen ab, sondern versucht konkrete musikbusinessrelevante Ein- und Aussichten zu vermitteln. In eine paar Schlüsselsätzen bringt Renner seine Grundthesen gezielt auf den Punkt: "In der Brechung des Schönen liegt das Spannende, in der Würde, das lehrte mich die argentinische Hauptstadt, zudem eine ungeheure Kraft." [Seite 289] Ein Plädoyer für Eigenständigkeit, Selbstbewußtheit, Ecken, Kanten, Feinheiten des Ästhetischen und Kritik(fähigkeit) - Renner, der Qualitätfanatiker.
Management statt Plattenfirma
Management statt Plattenfirma [Seite 269] ist Renners Plädoyer für kleine, schnelle (Personal)Strukturen eng beim Künstler unter Einbeziehung dessen wirtschaftlichen und organisatorischen Engagements. Die Plattenfirma wird als Dienstleister definiert, der keine A&R-Funktionen grundsätzlicher [Karriereplanung] oder auch kurzfristiger Art [Ausrichtung einer Ton/Bildträger-Produktion] zu leisten imstande ist - Renner, der Majorkritiker. Das theoretische Unterfutter zu diesem Thema aus der Sicht des Autors: "Wenn die Kunst zur Ware wird, sollte der Künstler einen Experten für Angebot und Nachfrage an seiner Seite haben. Der Manager moderiert dann zwischen Künstler und Kapital, zwischen Musik und Markt." [Seite 275] Zur Generierung des Kapitals nach dem Ausfall von Labels und Verlagen als Banken hat Renner allerdings recht wenig zu sagen. Das ist vielleicht das schwierigste Thema zur Zeit überhaupt in der Musik- und Künstlerentwicklung. Fast ein bißchen tröstlich, daß Renner hier ein wenig diffus bleiben muß.
Als Ergänzung zum kleinen Team: Netzwerk statt Alleingang [S. 282] - Renner, der moderne Kommunikator. Tiefe statt Reichweite [S. 285]: Glaubwürdiges Auftreten des Künstlers läßt das Team um den Act ohne große Marketingbeträge auskommen - Renner, der Wirtschaftlichkeit vor Chartserfolg und Marktanteil setzt.
Luxus statt Schutz
In eine ähnliche Richtung geht Identität statt Beliebigkeit [S. 279]: Herausarbeiten von Identitäten und Weiterführung zur Markenbildung - Renner, der Musik und Künstler zu Identifikationsschablonen weit über den Musikbereich hinaus formen will. Luxus statt Schutz [S. 289]: Statt mit Kopierschutz die Konsumenten vergrämen, lieber wertige Produkte anbieten oder den Weg direkt vom Mischpult in den Download-Shop wählen. Zusätzliche Forderung: Der Preis muß fallen - Renner, der technikaffine Visionär.
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Verantwortung im Musikbereich zu haben, ist ehrenwert, aber sicherlich auch in Zukunft keine Grundbedingung im Portfolio der pekuniären Erfolgsvoraussetzungen. Spezialisiertes Know-how hingegen ist die Grundvoraussetzung, um Inhalt und Kapital sinnvoll zu verbinden und in der Folge Musik erfolgreich zu vermarkten. Der Wunsch und die Sehnsucht nach Verantwortung im Musikbetrieb ist legitim und wird von contentbezogenen Musikmanagern sicherlich vollinhaltlich unterstützt. Einzelbeispiele wie der beachtenswerte Weg der Label- und Musikbusinesseinheit Four Music zeigen die Verwirklichungsmöglichkeit der These Erfolg durch Verantwortung auf. In diesem Fall kann man bereits durch die Kenntnis der handelnden Personen erahnen, daß der Erfolg unter anderem auf dem Pfeiler "Verantwortung gegenüber Künstlern und Publikum" ruht.
Mögen letztlich Tim Renners eigene Strategien mit der Marke Motor, ihren Künstlern und Inhalten in Zukunft beispielgebend erfolgreich werden, sodaß per definitionem abgekündigte visionäre Ansätze und Umsetzungen unsere gegenwärtige Musikbusinesspraxis bereichern und produktiv verändern.
PS: Tim Renners Buch macht auf jeden Fall Spaß, bleibt auch nach dem Lesen ein Begleiter als Ideenlieferant, Weiterdenk-Anstoß und Wohlfühlbuch für leidgeplagte Musikbusiness-Executives, denn es soll ja alles gut werden, und wir werden erlöst - in welcher Form und auf welche Weise auch immer [in Anspielung auf die Kapitelgliederung des Buches in Das Alte und das Neue Testament]. gw