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Herr Polansky, Sie gehörten zum Urteam von Ö3, das nach der Radioreform 1967 gegründet wurde. Ihr Markenzeichen war 22 Jahre lang die Sendung „Musik zum Träumen". 1971 wurden Sie Chefprogrogrammierer der nicht-moderierten Sendungen und Musikchef von Ö3, 1980 übernahmen sie die Musikproduktion des ORF. Welche Philosophie war mit Ö3 verbunden?
Man wollte einen Sender statuieren, der interessant und unterhaltsam ist und einen Großteil der Radiokonsumenten bindet; einen Sender mit Popmusik und denkbar guten Autoren und Moderatoren. Ich erinnere mich an einen Satz des damaligen Programmdirektors Alfred Hartner, der sagte: »Wir sind nicht die Steigbügelhalter der Schallplattenindustrie«. Das waren wir auch nicht, die Auswahl wurde von den Moderatoren nach individuellen Kriterien getroffen, von Persönlichkeiten wie Gerhard Bronner, Ernst Grissemann, Walter Richard Langer, Erika Vaal oder Louise Martini, die nach ihren Interessen Musik präsentierten, eine Musik, über die sie etwas zu sagen hatten. Sie haben ihre Liebhaberei in ihre Sendungen eingebracht und eine Hörerschaft um sich geschart. André Heller gehörte auch zwei Jahre lang dazu, genauer: zur Abteilung Wort von Rudi Klausnitzer. Das Ergebnis waren jedenfalls profilierte Sendungen. Ö3 war außer Konkurrenz – europaweit – und ist mit dem gegenwärtigen Ö3 nicht zu vergleichen.
Wenn Sie heute Ö3 hören – was geht Ihnen durch den Kopf?
Anfang der 90er Jahre wurde Ö3 zu einem anderen Sendetypus umgemodelt. Das fiel mit dem Abgang von Ernst Grissemann und Rudi Klausnitzer zusammen. Für die Führung des ORF wurde nur eines wichtig: Das heilige Kalb – die Einschaltquote. Motto: Wenn viele Leute zuhören, ist es eine gute Sendung, wenn wenige Leute zuhören, ist sie schlecht. Würden wir das auf die Kultur, auf Bücher zum Beispiel, übertragen, wo kämen wir da hin? Was übrig blieb von der damaligen Ö3-Radiophilosophie, ist heute bei Ö1 angesiedelt, aber hauptsächlich im Bereich der Ernsten Musik. Hier findet man das alte öffentlich-rechtliche Radio. Was Ö3 von heute betrifft, so stört mich nicht die Musik, die gespielt wird, sondern daß nur diese Musik gespielt wird.
»Was Ö3 von heute betrifft, so stört mich nicht die Musik, die gespielt wird, sondern daß nur diese Musik gespielt wird.« – Paul Polansky
Können Sie diese Musik genauer definieren?
Popmusik ist für mich die Abkürzung für populäre Musik, die weltweit viel farbiger und breiter ist. In Österreich wird nur ein Segment gespielt, aber eines, das Sie in jedem Sender auch zu hören kriegen. Das ist natürlich ein Problem der Ökonomie. Der ORF ist auf Werbung angewiesen, was früher nicht in diesem Ausmaß der Fall war. Ohne dieses Zubrot könnte er heute nicht existieren. Direkt oder indirekt ist er auf der Ebene der Privatradios gelandet. Die können anders nicht überleben, während der ORF Beiträge von Hörern erhält. Darin besteht auch das Problem: Millionen von Menschen zahlen Beiträge, und nur ein Teil von ihnen wird befriedigt. Eine schweigende Minderheit wird links liegen gelassen, Menschen, die etwas anderes, beispielsweise gerne Country- & Westernmusic, hören wollen. Der Sender spielt 24 Stunden, und es wäre schon gut, wenn man zehn Prozent davon dieser Minderheit widmen würde.
»Die Maschine [der Selector] macht das spielend, doch der menschliche Geist dahinter fehlt.«
Der ORF steht auf dem Standpunkt, diese Minderheiten werden in Ö1 oder FM4 befriedigt.
Das ist ein anderes Problem. Ö3 hat sich zu einer Musicbox gewandelt – mit besserer oder schlechterer Moderation; und was FM4 angeht, verstehe ich etwas nicht: Ö3 ist ein Jugendsender und FM4 ist auch ein Jugendsender, der eine mit, der andere ohne Anführungszeichen. FM4 ist Ersatz für Blue Danube Radio mit der englischsprachigen Komponente. Und Ö1 ist ein Sender für die mittlere und ältere Generation – aber wo bleibt die Komponente der Unterhaltungsmusik für die mittlere Generation? Ö2 wiederum ist Regionalprogramm, ein bisserl angelehnt ans frühere Ö3. Aber das ist alles kein Ersatz für das alte Ö3.
Die damalige Ö3-Mannschaft: Paul Polansky, Harald Gregor, Konrad Holzer,
Rudi Klausnitzer, Reinhard Mildner, Hans Leitinger, Peter Barwitz [v. l. n. r.]
Über Ö3 kommt das Geld für den Rundfunk herein. Ließe sich das Programm mit anspruchsvollen Elementen durchsetzen, ohne Hörer zu verlieren?
Sicher würde man einen Teil der Hörerschaft verlieren, aber das war bei Ö3 von 1968 auch der Fall. Trotzdem wurde es ausschlaggebend für die Gründung der dritten Programme im ganzen deutschsprachigen Raum, zum Teil auch in England. Ö3 – das war ein Begriff, ein neues Radio. Beim Schweizer dritten Programm ist die Vielfalt übrigens noch mehr gegeben als anderswo. Ö3 heute bringt nur die Musik, die alle Länder von Skandinavien bis weiß Gott wohin erobert hat. Dabei gibt es tonnenweise Musikproduktion der Angelsachsen, die man hier überhaupt nicht kennt. Hätte ich nicht meine privaten Verbindungen gehabt, hätte ich nicht 22 Jahre Musik zum Träumen machen können. Die Platten, die ich gespielt habe, waren nicht im Verkauf. Jeder, der Günther Schifter und wie sie alle hießen, hat etwas anderes gesammelt, wie ein Numismatiker seine Briefmarken, und seiner Sendung die spezielle Note gegeben. Heute wird in die Musicbox hineingeworfen, was die Industrie liefert, dazu kam die Erfindung des Selectors, damit kann man programmieren, daß ein Musikstück jede fünfte Stunde wiederholt wird. Die Maschine macht das spielend, doch der menschliche Geist dahinter fehlt. Aber vielleicht nur uns – und den Konsumenten von Ö3 fehlt nichts.
Das heißt, eigentlich sollten sich die zahlenden Radiokonsumenten aufregen und ein entsprechendes Programm einfordern.
Wenn Sie einen Menschen, der nie eine Banane gegessen hat, fragen, ob ihm denn nicht eine Banane schmecken würde, kann er das nicht beantworten. Auf Ö3 wird nun einmal Vorgekautes angeboten – das, was in den internationalen Charts vorgegeben ist – anstelle von demokratischer Vielfalt. Ich weiß, wovon ich rede. Ich mache jetzt die Sendung Beautiful music bei einem Privatradio in Pressburg und bekomme Post von 20 bis 25-jährigen Menschen, die schreiben: »Herr Polansky, hätten wir Sie nicht, wüßten wir nicht, was für schöne Musik es auf dieser Welt gibt«.
PS: Paul Polansky starb am 17. März 2010 in Wien. Einen Nachruf finden Sie hier.
PPS: wegen ungebrochener Nachfrage: Bei der Kennmelodie von Polanskys beliebter Ö3-Sendung »Musik zum Träumen« Last Date handelt es sich um eine Komposition des Pianisten Floyd Cramer, die Aufnahme stammt vom Gitarristen Duane Eddy.
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