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Die Zerstörung einer Musikkultur II

Fallbeispiele der Umverteilung von Tantiemen durch die GEMA - Von Ole Seelenmeyer und Karl-Heinz Osche/DRMV [Rechenbeispiele].

Lüneburg (31. Jänner 2005) - Nach den allgemeinen Ausführungen im ersten Teil dieser Artikelserie stelle ich nun in verschiedenen Fallbeispielen die eigentlichen "Gewinner" des neuen Pro-Verfahrens vor. Jedem Leser bleibt es überlassen zu beurteilen, wer in der GEMA ein Motiv hatte, dieses Verfahren in den GEMA-Gremien ohne Mitgliederbeschluß durchzupeitschen. Die Beispiele sprechen eine klare Sprache.

Der Titel Marmor, Stein und Eisen bricht [Co-Komponist Christian Bruhn] wird pro Jahr in jeder Bezirksdirektion zehnmal pro Monat aufgeführt. [Beispiel 1].

Die Ausschüttung nur für den einen Titel Marmor, Stein und Eisen bricht beträgt insgesamt 22.706,74 € [plus MwSt.], unabhängig davon, wieviel Geld die GEMA pro Veranstaltung einnimmt. Hinzu kommt hier die Wertung, also ein von der GEMA eingeführter Multiplikationsfaktor, der diese berechnete Endsumme erheblich weiter nach oben treibt. Christian Bruhn besitzt eine außerordentlich hohe Wertung! Die Ausschüttung beträgt für dieses Lied pro Aufführung 15,77 Euro. [M = mechanische Vervielfältigung].

Für das Lied Sierra Madre del Sur [Texter Hans Hee] gilt analog dieselbe Regel [Beispiel 2]. Die Auszahlung beträgt auch für diesen Titel pro Aufführung 15,77 Euro.

Des einen Freud', des andern Leid - So wird umverteilt

Auch der Titel Bist Du bei mir [Komponist und Texter: Peter Beil/Michael Holm, Sikorski Musikverlage] wird rein theoretisch in jeder Bezirksdirektion zehnmal im Monat in jedem Monat des Jahres von irgendeiner Tanzkapelle oder Barmusikern aufgeführt. Sollten an einem Abend 20 Werke der Sikorski Musikverlage auf diese Art aufgeführt werden, würde eine Ausschüttung in Höhe von 454.134,80 Euro erfolgen, obwohl die Zahlungen der Veranstalter an die GEMA gleich bleiben würde. Hinzu kämen die Wertungsbeträge.

Bleibt anzumerken, daß die Ausschüttungen für die vorgenannten Songs auf die Komponisten, Texter und den Verlag nach dem GEMA-Schlüssel zu verteilen sind, wenn keine anderen Vereinbarungen getroffen wurden. Auch hier kommt die Wertung hinzu.

Eklatante Ungleichbehandlung

Um die Ungerechtigkeit des Pro-Verfahrens im Gegensatz zu diesen drei Fallbeispielen noch einmal transparent zu machen, hier ein viertes Beispiel einer x-beliebigen Band [Popularmusik], die nach Veröffentlichung einer neuen CD eine Konzerttour von 30 Tagen in einem Monat in Deutschland) durchführt und dabei an jedem Tag ein Konzert [also insgesamt 30 Konzerte] in einer Bezirksdirektion durchführt.

In diesem Fall erhalten die Urheber, also Komponisten und Texter dieser aufgeführten Songs, wenn sie denn Mitglied in der GEMA sind, ihre Musikfolgebögen (entspricht den Programmformularen der AKM, Red.) fleißig abgeliefert haben und alle Eigenkompositionen und Texte haben registrieren lassen, lediglich eine Ausschüttung von insgesamt 1244,64 Euro [plus MwSt.] und das, obwohl die GEMA für diese Konzerte 8619,- Euro an Einnahmen verbuchen kann. Die Ausschüttung beläuft sich insgesamt auf 1.244,64 € [plus MwSt.], also nur rund ein Siebentel der GEMA-Einnahmen aus diesen Veranstaltungen.

Hier kommt mit hoher Wahrscheinlichkeit keine oder nur eine äußerst geringe Wertung hinzu, da die meisten Rock-, Pop-, Folkmusikurheber und Liedermacher vom Wertungsausschuß nur in seltenen Fällen Wertungspunkte zugesprochen bekommen. Die Ausschüttung beträgt also für einen Song pro Aufführung hier lediglich 1,73 Euro.

Ein Geschenk des Himmels?

Sieht man sich vergleichsweise die Ausschüttung für den Titel Marmor, Stein und Eisen bricht i. H. v. 15,77 Euro pro Abend im Vergleich zu der Band an, die ihr neues Album präsentiert, muß sich jeder normal denkende Mensch die Frage stellen, warum der Song von Christian Bruns fast das Zehnfache einbringt. Dieser Vergleich zeigt eindeutig, zu welchen Zwecken und für welche Klientel das Pro-Verfahren eingeführt wurde. Von Gerechtigkeit kann hier keine Spur sein.

Diese hier aufgeführten Fallbeispiele sollen allen Lesern noch einmal drastisch vor Augen führen, zu welchen unglaublichen Verzerrungen und Ungerechtigkeiten das neue Pro-Verfahren der GEMA führen kann. Klar gesagt sei hier noch einmal, daß es sich hier nur um theoretische Fallbeispiele handelt, die aber sehr wohl mit der Wirklichkeit realitätsbezogen korrespondieren. Mit Absicht nicht aufgeführt habe ich diejenigen Mitglieder der GEMA, die das neue Pro-Verfahren als ein Geschenk des Himmels betrachten, und zwar deshalb, weil die verantwortlichen Väter des Pro-Verfahrens Christian Bruhn, Hans Hee und Prof. Dr. Hans Wilfred Sikorski diesen Personen eine unglaubliche Möglichkeit in die Hand gespielt haben, die GEMA mehr als je zuvor an der Nase herumzuführen und zur Kasse zur bitten. Denn das neue Pro-Verfahren eignet sich in außergewöhnlicher Weise für strategisch planende Verteilungsplanspezialisten.

Resümee

Mag sein, daß der deutsche Bundesgerichtshof der GEMA bestätigen wird, daß das neue Pro-Verfahren ohne Mitgliederbeschluß hätte eingeführt werden dürfen. Mag sein, daß das Pro-Verfahren für so genannte Hit-Standardwerke eine größere Verteilungsgerechtigkeit bewirkt. Aber zu welchem Preis? Und vor allen Dingen: welche künstlerischen Bereiche unter den Komponisten und Textern in Deutschland müssen diesen Preis bezahlen? Ganz sicher nicht die Gewinner!

Den Preis für dieses ungerechte Pro-Abrechnungsverfahren zahlen vor allen Dingen die jungen und in GEMA-Fragen unerfahrenen Rock & Pop und Folkmusiker / Liedermacher aber auch Schlagerurheber in Deutschland, also der so genannte Nachwuchs.

Das Deutsche Patentamt als Aufsichtsbehörde der GEMA schweigt, der Deutsche Musikrat als Dachverband der Musikkulturverbände in Deutschland schweigt, die Politiker aller Parteien schweigen, weil sie entweder von den hochkomplizierten Zusammenhängen des GEMA-Verteilungsplans und den Auswirkungen des Pro-Verfahrens keine Ahnung haben oder zum anderen keine Karriere mindernden Auseinandersetzungen eingehen wollen.

Deshalb muß das ungerechte Pro-Verfahren im Zeitalter modernster Technik, wo man eine Mondlandung auf die Minute präzise berechnen oder jedes Telefonat auf die Sekunde genau abrechnen kann:

a) durch ein gerechtes Ausschüttungsverfahren und
b) durch ein transparentes und für jedes GEMA-Mitglied einfach nachvollziehbares Ausschüttungsverfahren [wie z.B. bei der Ausschüttung im Tonträgerbereich] ersetzt werden. os

PS: Dieser Artikel wurde in der Zeitschrift MUSIKER des Deutschen Rock- und Popmusikerverbandes, Ausgabe 1/2005 veröffentlicht und erscheint hier mit freundlicher Genehmigung der Autoren und des DRMV.

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